12. Februar 1907

Theater. Gestern gelangte Shakespeares „Othello“ zur Aufführung. Als Schröder 1776 den Othello auf die deutsche Bühne brachte, sagte das nervenaufregende Drama dem Publikum so wenig zu, dass Othello die Desdemona nicht erdrosselte, sondern am Leben lassen mußte. Heute ist man an stärkere Wirkungen gewöhnt, auf der Galerie wirkten gestern einzelne Stellen sogar erheiternd. Othello ist so oft mit hervorragenden Gästen zur Aufführung gelangt, dass es nicht Wunder nehmen kann, dass der Zuschauerraum gestern Lücken aufwies. Herr Dröge bot in der Titelrolle eine anständige Durchschnittsleistung. Seine  Erscheinung unterstützte ihn und sein Organ hatte er gut in der Gewalt; er überschrie sich nicht und bramarbasierte nicht, sondern strebte nach Einfachheit und natürlichem Ausdruck. Herr Dröge scheint der Auffassung zu sein, dass Othello kein Mohr, sondern ein Maure ist, diese Ansicht ist aber wohl kaum stichhaltig und die Mehrzahl der großen Othellodarsteller gibt ihn auch als schwarzen Mohren. Als Jago bewährte sich Herr Kugelberg. Er brachte diesen im Mittelpunkt des Ganzen stehenden grausigen Gesellen in wirksamster Weise zur Geltung; die Maske des Biedermanns wusste er geschickt vorzulegen und brachte die die Motive seines Tuns enthüllenden Monologe mustergültig zu Gehör. Frl. Böhm brachte besser die neckische Schelmerei der liebenden als die Schwermut der leidenden Desdemona zum Ausdruck. Herr Seefeld gab den Cassio farblos und Herr Brodowski machte aus dem Rodrigo eine lächerlichere Figur als gerade nötig ist. Frl. Hoffmann wusste aus der Rolle der Emilia nicht viel zu machen, erst in der letzten Szene brachte sie sich ganz gut zur Geltung. Herr Fischer als Brabantio führte seine Rolle gut durch.