12. Mai 1903

Die drei gestrengen Herren Mamertus, Pankratius und Servatius, die Eisheiligen, wie sie der Volksmund genannt hat, haben heute ihre Herrschaft angetreten. Sie haben von vornherein erkennen lassen, daß sie von ihren traditionellen Rechten keines aufzugeben bereit sind. Das Wetter wurde schon vor einigen  Tagen allgemein kühler, der Himmel bezog sich mit einem dichten Wolkenbehang und wolkenbruchartige Regengüsse gingen nieder, die zum Teil sehr große Verheerungen und furchtbare Überschwemmungen anrichteten....

Die Eisheiligen sind und bleiben schlimme Leute und gehen, ohne Unheil anzurichten, selten an uns vorüber. Glücklicherweise ist ihre Herrschaft zeitlich nur eng begrenzt; auf einen längeren Zeitraum als den einer Woche vermögen sie ihren Einfluß nicht auszudehnen. Der Wunsch, es möchte doch nun dauernd schönes Wetter eintreten, ist um so lebhafter, als Pfingsten immer näher und näher rückt, dessen weltliche Feier ohne die Gunst des Wetters gar nicht möglich ist. Es wird uns hoffentlich nicht zum zweiten Male gehen wie im vorigen Jahre, wo an den Pfingstfeiertagen den einzigen behaglichen Aufenthalt ein warm geheiztes Zimmer bot.

Der Buchstabe tötet. Ein höchst sonderbares Stückchen finden wir in der "Deutschen Juristen-Zeitung": Eine verschollenen Frau war im Aufgebotsverfahren für tot erklärt worden. Als die Verschollenen wiederkehrte und das Ausschlußurteil durch die Klage anfocht, weil sie noch am Leben und ihre Identität außer Zweifel sei, wies das Gericht die Klägerin ab, da die Frist zur Anstellung der Anfechtungsklage verstrichen war! Die Frau wollte natürlich wieder unter die Lebenden aufgenommen werden und verfocht ihre Sache bis zur letzten Instanz. Beinahe hätte sie sich bei ihrem Tode beruhigen müssen, denn jenen sachlichen Grund wollte das Reichsgericht auch nicht gelten lassen. Zum Glück fand sich ein formeller Grund: die Präklusivfrist [gerichtlich festgelegte Frist, nach deren Ablauf ein Recht nicht mehr geltend gemacht werden kann] zur Meldung war irrtümlich auf "Donnerstag, den 12, März 1901", anstatt auf "Dienstag, den 12. März 1901", anberaumt worden, also auf einen gar nicht vorhandenen Tag. Darin fand das Reichsgericht einen Formmangel, den das Gesetz als Anfechtungsgrund zulasse. Nun darf die Frau wieder "leben".