15. August 1901

Ein Unwetter, wie wir es lange Zeit nicht erlebt haben, suchte gestern unsere Stadt heim. Nachdem einige Gewitter seitwärts vorbeigezogen waren, und uns nur ganz geringfügigen Regen gebracht hatten, zog plötzlich gegen 8 Uhr von Nordwesten her eine düstere Wolkenwand auf, die sich mit unheimlicher Geschwindigkeit näherte. Ein Windstoß, schon mehr eine Art Windhose, brauste einher, mit solcher elementaren Gewalt, daß zahllose alte Bäume entwurzelt oder wie Streichhölzer geknickt wurden. Dann kam endlich der seit Wochen so sehnsüchtig erwartete Regen, leider so heftig, daß er auch manchen Schaden angestiftet hat. In einem Nu standen bei dem ungeheuren, wolkenbruchartigen Guß alle Straßen unter Wasser. In den abschüssigen Straßen, namentlich in der Crossener Straße, verwandelten sich die Rinnsteine in reißende Gebirgsbäche, gewaltige Sandmassen mit sich führend, die theils unten abgelagert, theils bis in den Flußlauf mitgerissen wurden. Immerhin sind die Berge und Berggassen noch ziemlich günstig weggekommen; außer den bei stärkeren Gewitterregen gewöhnlich auftretenden Schäden haben wir größere nicht bemerkt. Um so mehr Schaden hat der heftige Sturm angerichtet. Auf dem Stadthof, dicht vor dem früheren Gefängniß, stand eine gewaltige alte Linde, sie wurde umgerissen; auf dem Spichererplatz am Schweinemarkt wurden 4 starke Akazien umgeweht, auf der Neustadt beim Gymnasium eine alte Kastanie, die im Sturz in dem Hause des Bäckermeisters Weise die Schaufensterscheibe mit ihren Zweigen eindrückte, ebenso wurden am Nachbarhause noch mehrere Scheiben zertrümmert, auf Schneiders Berg wurden mehrere Akazien, bei Schemels Fabrik in der Lubststraße mehrere Obstbäume, an der Lubst einige Weiden umgerissen; noch an vielen anderen Stellen wurden Bäume theils niedergerissen, theils starke Aeste abgesplittert. Zahlreich sind auch die Beschädigungen, die an Häusern angerichtet wurden, fast in allen Straßen prasselten Dachpfannen und Ziegelstücke von den Dächern herab, sogar ein Schornstein wurde eingerissen. Die im Juni 1899 abgebrannte Schlesische Tuchfabrik steht noch als Ruine da, zum Wiederaufbau ist nichts geschehen; der gestrige Sturm hat die nach der Märkischen Straße gerichtet Umfassungsmauer umgerissen; hoffentlich wird die Ruine jetzt völlig abgebrochen werden. Die Triftstraße war, wie immer bei starken Regengüssen, völlig unpassirbar; das Wasser stand fußtief. In niedrig gelegenen Stadttheilen sind viele Keller voll Wasser gelaufen und stundenlang hatten die Einwohner zu thun, das Wasser herauszuschaffen. Eine eigenthümliche Erscheinung wurde noch beobachtet: Unzählige Sperliche lagen, als sich das Unwetter etwas gelegt hatte, theils todt, theils ermattet, auf den Straßen.