25. Dezember 1901

Weihnachten.  Die in voriger Woche noch so vielfach gehegte Erwartung eines weißen Weihnachtsfestes, einer leuchtenden Schneelandschaft, durch welche rasche Schlitten mit frohen Menschen unter Schellengeläut dahinjagen, dürfte sich wohl für einen großen Theil Deutschlands kaum erfüllen. Der Schnee ist verschwunden, und das eingetretenenWetter ist alles eher denn weihnachtlich zu nennen. Auch die nordamerikanischen Ankündigungen von der unerhörten Kältewelle sind schnell zu Wasser geworden. Nun, der Winter ist noch lang, er hat gerade erst begonnen, so daß auch die Eis- und Schneesport-Freunde noch auf ihre Rechnung kommen können. Im vorigen Winter setzte die Kälte genau mit Jahresbeginn ein und sie zeigte sich ebenso kräftig wie andauernd. Geschlossen sind die Schulpforten, mit leuchtenden Augen und heißem Sehnen harrt die Jugend des Erscheinens des Weihnachtsmannes, und auch der Erwachsenen bemächtigt sich jene erregte Stimmung, die dem Christfeste stets vorangeht und die der Erwartung über all die frohen Gesichter entspringt, welche bei der Bescheerung sich um den Weihnachtsbaum sammeln. So wollen wir denn nach den langen Monaten voll Mühe und Arbeit und Sorgen ein um so freudigeres Fest feiern. Die Christfeier ruht im echten, reinsten Familienglück, sie hat ihre Urquell im deutschen Gemüth. Mag uns die Härte der Zeit viel genommen haben, die herrlichen Stunden im Jahre kann sie uns nie nehmen, die sind uns treu gewahrt. Feiern wir ein frohes Fest nach unfrohen Tagen, halten wir die Erinnerung wach auch für die spätere Zeit. In Weihnachts-Unterhaltung und Festschmausereien, in das obligate Kuchen-Vertilgen und das Finden von glücklichen Herzen unter Austausch der unscheinbaren und doch so viel bedeutenden goldenen Reise mischt sich das Tohuwabohu von Jungdeutschland mit Trommeln und Trompeten und sorgt für das Aeußere. Heute Abend glänzen die Kerzen vom Christbaum, fällt ihr Licht in Millionen deutscher Augen, zieht innige Rührung in Millionen deutscher Herzen. Und indem wir hoffen, es werde Allen ein Tisch gedeckt sein, die sich darnach sehnten, wünschen wir Glück und Segen für’s deutsche Haus.