25. Dezember 1902

Sagan: Eine Episode, die sich auf dem herzoglichen Bau im Dorotheenhofe zugetragen, wird hier viel belacht. Im Oktober wurde mit dem Bau einer Beamtenwohnung begonnen, und man hätte das Haus vor Eintritt des Winters gern noch unter Dach gebracht. Da trat die Kälte ein , und um nicht frieren zu müssen,  wurde von der Verwaltung ein Faß Kalcium bestellt, das durch Zusetzen zum Kalk das Gefrieren des Letzteren verhindern sollte. Als daher vom Spediteur ein Faß auf dem Dorotheenhofe abgeladen wurde, machten sich die Männer sofort daran, den Boden desselben auszuschlagen und einen Eimer der Flüssigkeit dem Kalk zuzusetzen. Als dies nicht half, goß man einen zweiten Eimer hinzu. Der Geruch und die rothe Farbe war wohl den Maurern aufgefallen; da sie aber Kalcium nicht kannten, kümmerten sie sich auch nicht weiter, bis der herzogliche Beamte kam, der sich ein Faß Wein bestellt hatte. 45 Liter des französischen Rothweines lagen in der Kalkgrube.

 

Gerichtliches: Toller Hokuspokus. Einen Zaubertrank hat die Wittwe Friederike Graf  zu Spandau zusammengebraut. sie nannte das Gemisch, welches nach dem Gutachten des Sachverständigen aus einem schwachen Kantharidenauszug, Leinöl und Menthol besteht, Männeranziehungs- und Erfrischungstrank. Ihre Kunden bestanden größtentheils aus verheiratheteten Frauen, denen sie das "unfehlbare Mittel" für theures Geld aufhängte.

Die Behörde erblickte in dem Verfahren der Frau Graf die Thatbestandsmerkmale des Betruges und ebenso das Schöffengericht, welches Frau Graf zu einer Gefängnißstrafe von drei Monaten verurtheilte. Die Angeklagte legte Berufung ein, wor-auf die Sache vor der Strafkammer  des Berliner Landgerichts II zur Verhandlung gelangte.

Es war ein Entlastungsbeweis eigenthümlicher Art, der ins Werk gesetzt wurde. Es trat eine ganze Anzahl Frauen, lauter Kundinnen der Angeklagten, auf. Eine nach der Anderen versicherte, daß sie sich nicht betrogen fühle, denn die angepriesene Wirkung sei nicht ausgeblieben. Unter diesen Umständen mußte der Gerichtshof anerkennen, daß eine Verurtheilung wegen Betruges nicht erfolgen könne, weil eine Vermögensschädigung nicht nach-zuweisen sei. Der Vorsitzende gab seiner Verwunderung darüber Ausdruck, daß ein so toller Hokuspokus noch in der Nähe von Berlin floriren könne.