26. Dezember 1915

Stadttheater in Guben

Die Weihnachtsfeiertage brachten die Aufführung von zwei alten, aber immer noch amüsanten und zugkräftigen Lustspielen. Am 1. Feiertag ging das Stahl`sche Lustspiel „Zilli“ in Szene. Der Inhalt darf heute,  nachdem das Stück fast 80 Jahre lang gelegentlich immer wieder über die Bretter geht, als bekannt vorausgesetzt werden. Was in dem Lustspiel anziehend bleibt, sind der liebenswürdige Humor, der zierliche Dialog und die natürlich aufgebaute Handlung. Gespielt wurde im allgemeinen gut, wenn auch das Tempo weit flotter genommen werden konnte. Vielleicht mag das an der deklamatorischen Art gelegen haben , mit der Frl. Steinau sich in der Rolle der Bankiersfrau Thekla Rebus bewegt hat und an der gleichgültigen Auffassung der Rolle des Dr. phil. Müller durch Herrn Boese. In der Titelrolle zog die neu angestellte muntere Naive, Frl. Agnes Widlöf die Aufmerksamkeit auf sich. Sie konnte sich hier in ihrem besten Lichte zeigen. Ihr Spiel war voller Frische und Munterkeit.  Weiter soll es genügend sein, die Namen der Herren Prell , Kempner , Bergen und der Damen Friedrich , Mawick und Rank zu nennen und zu bemerken, daß mit ihnen recht anzuerkennenden Leistungen verbunden waren.

Der zweite Feiertag brachte das ebenso alte wie viel gespielte , aber allerliebste Verslustspiel l „Renaissance“ von Schönthan und Koppel-Ellfeld . Als „Vittorino“ war hier Frl. Anne Röhl der Liebling des Publikums. Sie war ein anmutiger, molliger Junge, dem man von Herzen gut sein konnte. Ihr bis ins Kleinste fein abgetöntes Spiel war der Grundpfeiler des Gelingens der Aufführung.  Frl. Mannstädt war eine vornehme Marchesa und Herr Jarocki ein nicht nur würdiger, sondern auch liebenswürdiger Benediktinerpater. Herr Barre machte aus dem erst verbissenen und verbüffelten,  dann aber übermenschlich verliebten  Magister Severino eine Prachtfigur;  besonders im dritten Akt wußte er große Heiterkeit zu entfesseln, ohne in der Farbenauftragung zu viel des Guten zu tun. Eine recht hübsche Leistung bot auch Herr Hagen als Silvio und in den kleineren Rollen waren Frau Emmel, Frl. Rameau und Frl. Cabisius bestens am Platze.  Die Ausstattung des Lustspiels war glänzend, das Bühnenbild stimmungsvoll und die Kostüme ausnehmend geschmackvoll. Die Aufführung unter Leitung des Herrn Barre stand im ganzen unter einem günstigeren Stern als die am ersten Feiertage unter Leitung des Herrn Prell.  Das Publikum war an beiden Tagen in bester Stimmung  und hielt mit Beifall nicht zurück; an beiden Tagen war das Haus fast ausverkauft.