29. Oktober 1903

Wie Gänse einen Hund züchtigten, darüber wird aus einem Dorfe bei Eberswalde folgende ergötzliche Geschichte berichtet: Eine Bäuerin trieb auf der Dorfstraße eine kleine Herde von Gänsen vor sich her, als aus einem Hause heraus ein kläffender Rattenfänger sich auf die Schar stürzte. Im ersten Schreck stob die Herde laut schreiend auseinander. Dieser leichte Sieg mochte den Köter ermutigen; in schnellen Sätzen verfolgte er die geflügelte Schar. Da, eben hatte er eine der Gänse beim Flügel gepackt, drehte sich diese schwerfällig  herum und hieb mit dem Schnabel nach dem Hunde. Einen Augenblick stand dieser wie erstarrt da, dann wollte er sich auf den Gegner stürzen. Da aber wirbelten ihm auch schon die Flügel der Gans um die Ohren; sichtlich war dem Rattenfänger Hören und Sehen vergangen, er drehte sich bloß noch um seine eigene Achse. Angesichts der Tapferkeit ihrer Genossin mochten sich die übrigen Gänse ihres angstmeierischen Betragens schämen. In wirrem Knäuel stürzten sie mit weitgeöffneten Schnäbeln zischend heran; wie auf Befehl schlossen sie einen engen Kreis um den frechen Angreifer und nun regnete es auf den kläglich heulenden Hund von allen Seiten Schnäbelhiebe und Flügelschläge. Inzwischen hatte sich ein Häuflein Neugieriger um die kämpfende Gesellschaft gebildet. Mit Staunen verfolgten die den Verlauf des Kampfes, als sich durch die Menge ein junger Bursche Bahn brach, um den Hund, sein Eigentum, dem Verderben zu entziehen. Kurz entschlossen aber wendete sich die eine Hälfte der Gänse mit drohen aufgerissenen Schnäbeln gegen den Jüngling, der unter lautem Gelächter der Zuschauer zurückwich, während die andere Hälfte den Kampf mit dem heulenden Hund fortsetzte. Es war kaum noch eine Kampf zu nennen, richtiger war es ein regelrechtes Standrecht, das die schnatternden Vögel über den Friedensstörer abhielten. Der Rattenfänger wurde sichtlich matter unter den Schlägen, schon torkelte er wie ein Betrunkener hin und her, und nun legte er sich gar mit heraushängender Zunge auf die Seite. Die Rachsucht der geflügelten Schar war aber noch nicht befriedigt, und sicher hätte der Hund den kühnen Angriff auf die Ruhe der Gänse mit dem Leben bezahlen müssen, wen nicht jetzt die Bäuerin, die Eigentümerin der Gänse, dazwischengetreten wäre. Sie zwang mit kräftigen Schlägen ihre Schützlinge, die Züchtigung des Hundes einzustellen. Als dieser sah, daß er Luft bekommen hatte, erhob er sich mühsam und schlich mit eingeklemmtem Schwanze lautlos davon. Wie auf Befehl wendeten jetzt sämtliche Gänse ihre langen Hälse nach der Richtung, in der der Besiegte verschwand und brachen in eine betäubendes Schreien aus - ein ohrenzerreißendes Siegesgeschmetter!