30. Oktober 1912

Kettenbriefe. Ein Unfug, der anderwärts schon grassierte, und gegen den in auswärtigen Blättern schon oft geschrieben wurde, beginnt sich jetzt auch in Guben einzunisten: die Manie der Kettenbriefe. Da Verfahren besteht darin, daß jeder , der einen solchen Brief erhält, ihn neun Tage lang  je einmal  abschreiben  und je einem Bekannten zusenden soll. Wie lawinenartig diese Schreiberei  anwachsen muß, ist daraus jedem klar. Das Schriftstück geht den Leuten auch auf Postkarten zu und ist in einem  furchtbaren Deutsch abgefaßt. In einem uns vorliegenden Falle  hatte dies Geschreibsel auf der Postkarte folgenden Wortlaut: „Die Kette darf nicht unterbrochen werden. Jeder der ihn erhält, soll ihn 9 Tage lang je einem Bekannten zusenden. Es ist ein altes Gebet, von dem in Jerusalem gesagt wurde, daß der ihn nicht weiter schickt, kein Glück an sich habe! Der es aber tut, am 9. Tag eine große Freude erleben wird und von allen Schmerzen befreit sein soll.“ Das abzuschreibende Gebet stellt sich als folgendes konfuses Zeug dar:“ I am ami entprojes O jord Jesus Implove The blessest man find ey us from Aeve  land Teel us all dwell weicht Thee in the Eleveny.“ – Die Absender rechnen mit dem weiter als man meint  verbreiteten Aberglauben der Leute und haben, wie der Augenschein lehrt, ja auch immer  wieder Erfolg. Die Briefe sind darum auch augenscheinlich nur an Frauen gerichtet. Hoffentlich aber verfahren alle, denen ein solcher Brief zugeht, in der einzig richtigen Weise mit ihm: Hinein ins Feuer!