4. Dezember 1910

Gestern abend gegen 7 Uhr kündigten die drei wuchtigen Schläge der Sturmglocke ein Großfeuer vor dem Kloster an. Am nordwestlichen Himmel färbten sich die Wolken glühend rot. Eine große Menschenmenge strebte dem Schlachthof und Koenig-Park zu. Der freie Blick von dem Logenhaus ließ erkennen, daß die Lederfabrik Emanuel Meyer & Co. G.m.b.H. in Flammen stand. Das Fabrikgrundstück der Firma liegt in der Uferstr. 26 und zieht sich rückseitig am Ufer der Unterneiße unweit des Hafenbollwerks entlang. Erst in diesem Jahre wurde dort die Fabrikation von Glace- und Schuhleder begonnen u. zwar in dem Gebäude, in dem vorher eine Garnspinnerei betrieben wurde. Die Fabrik ist zu der Lederfabrikation erst ganz neu maschinell eingerichtet worden und hatte in der verhältnismäßig kurzen Zeit eine recht erfreuliche Ausdehnung genommen, sodaß zuletzt gegen 200 Arbeiter beschäftigt werden konnten. Die Arbeit in der Fabrik war um ½ 7 beendet. Nachdem die Arbeiter den Fabrikraum verlassen hatten, wurde gegen 7 Uhr das Feuer in dem Zurichteraum, über dem der Ankleideraum liegt, bemerkt. Sofort wurde nach den nächstliegenden Feuerlöschern geschickt und der Dampf aus dem Kessel abgelassen. Dadurch war es nun nicht mehr möglich, die auf dem Grundstück vorhandene Pumpe in Betrieb zu nehmen und den Brand mit Schlauchleitungen von der Neiße aus anzugreifen. Noch bevor die Feuerwehr eintraf, bildete der ganze Fabrikraum ein Flammenmeer. Die gewaltige Ausdehnung, die das Feuer in ganz kurzer Zeit annahm, hinderte die energischen Versuche, irgendetwas zu retten. Nur aus dem Bureau konnten einige Bücher und der Inhalt des Geldschrankes in Sicherheit gebracht werden. Alle Hauptbücher befinden sich dem Vernehmen nach in Berlin, wo auch das Hauptbureau ist. Zwei Angestellte der Firma, der Zurichtemeister Klose und der Kutscher Röming, versuchten in das brennende Gebäude einzudringen, erlitten aber durch Stichflammen Verletzungen am Kopf und an den Händen, sodaß ihnen sofort ein Notverband angelegt werden mußte.

Die gegen ½ 8 Uhr mit allen Geräten eintreffende Feuerwehr griff sofort energisch an, um den Lagerschuppen und die Färberei- und Gewerbegebäude zu retten. Mittels einer Handpumpe wurde das Feuer mit einer Schlauchleitung  von der Neiße aus angegriffen, denn es galt in erster Linie, den sehr gefährdeten, mit etwa für 70 – 80.000 M Rohfellen angefüllten Lagerschuppen zu retten. Trotz dem energischen Vorgehen ist der Schuppen bei der gewaltigen Hitze angekohlt, ebenso das Fell-Lager, sodaß immerhin auch hier etwa 15 – 20.000 M Schaden entstanden sind.

Heute vormittag bot der Fabrikraum, von dem nur kleine Mauerreste aus der Erde ragen, einen chaotischen Anblick. Hier und da züngelten noch kleine Flammen aus der Asche empor. Von den gesamten Maschinen ist auch nicht eine brauchbar geblieben. Nur die schweren Eisen- und Transmissionswellen und –Räder sowie Zurichtemaschinen, Schleifräder, Walken, Bimssteine und Stoßmaschinen liegen zu einer unkenntlichen Masse zusammengekrümmt durcheinander. Von einem 100- und einem 60 HP starken Dynamo sind nur noch einige Teile zu sehen, desgleichen sind die Dampfmaschine und die gewaltigen Antriebräder völlig zerstört. Das vor vier Monaten mit etwa 15.000 M Kosten errichtete Kesselhaus ist unversehrt geblieben.

Als Entstehungsursache des Brandes wird Unvorsichtigkeit mit einem Streichholz angenommen. Es besteht in der Fabrik strengstes Rauchverbot, das überall durch Tafeln bekannt gegeben ist. Trotzdem scheint aber das Gebot durchbrochen und im Ankleideraum ein Streichholz achtlos fortgeworfen zu sein, das die mit Benzin durchzogenen Kleider in Brand gesetzt hat.

Ein Brandschaden ist bei der Ausdehnung, die das wütende Element genommen hat, ein ganz enormer; er wird auf 600.000 bis 700.000 M geschätzt, den sich die Magdeburger und Schlesische Feuer-Versicherung zu teilen haben. Die gesamte Fabrikanlage ist mit 850.000 M versichert.

Wie wir weiter vernehmen, wird der Betrieb nach Möglichkeit aufrecht erhalten, so konnten etwa 120 Arbeiter heute vormittag schon wieder beschäftigt werden. Die Fabrikleitung beabsichtigt, eine Lokomobile aufzustellen, sodaß wenn die Lieferung derselben schnell erfolgt, auch die übrigen Arbeiter in kurzer Zeit wieder eingestellt werden können.