Deutsch oder Latein als Schulschrift. Der Kampf ob die lateinische oder deutsche Schrift in Zukunft bei uns vorherrschen soll, ist plötzlich zu neuer Glut entfacht: Die Petitionskommission des Reichstages hat soeben einer in der Oeffentlichkeit bisher gar nicht beachteten Petition zugestimmt, nach der als alleinige Schrift in den ersten drei Unterrichtsjahren die lateinische gelehrt und geübt werden soll. Würde das gesetzlich durchgeführt, so wäre damit natürlich das Ende der deutschen Schrift in absehbarer Nähe gerückt, und diese Aussicht hat denn auch sofort deren Freunde auf den Plan gerufen. Eine Protestversammlung – zunächst nur im engeren Kreise – hat getagt. Die gegnerische Ansicht hat in dieser der bekannte Vorkämpfer der lateinischen Schrift, Professor Stengel, der auch Mitglied der Petitionskommission ist, vertreten, hat sich dann aber auf keine weiteren Erörterungen eingelassen, sondern die Versammlung verlassen, die nun ihrerseits tatkräftige Maßnahmen zum Schutze der bedrohten deutschen Schrift beschloß : Agitation in Wort und Schrift, Volksversammlungen und Gegenpetitionssturm. Ein heißer Kampf ist also zu erwarten. Auf der einen Seite wird man besonders das nationale Moment in der geschichtlich gewordenen deutschen Schrift betonen, auf der anderen Seite weißt man nicht ohne Berechtigung auf die Belastung des Anfangsunterrichts hin, dem jetzt die Einübung von acht Alphabeten – groß und klein, gedruckt und geschrieben, deutsch und lateinisch – zufällt. Ob aber der Ansturm der „Lateiner“ siegreich sein wird, ist zum mindesten sehr zweifelhaft, der erste Erfolg ist sicher nur der Ueberrumpelung der Gegner zu verdanken ; wahrscheinlich ist vielmehr, daß nach scharfen Streit alles beim alten bleiben wird.